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LXEHNGS
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Geniales Schach

im Wiener Kaffeehaus 1750-1918

350 Seiten, gebunden, Edition Steinbauer, 1. Auflage 2017

19,80 €
Inkl. MwSt., zzgl. Versandkosten
Obwohl das Schachspiel in Wien schon im hohen Mittelalter belegt ist, bedurfte es weiterer grundlegender Voraussetzungen, bis es tatsächlich zum Erblühen kam. Mit der Entstehung des Kaffeehauses, das ab Mitte des 18. Jahrhunderts eine immer wichtigere Rolle für das Schachspiel einnahm, zogen aus allen Teilen des österreichischen Kaiserreiches Talente in die Reichshauptstadt: Wilhelm Steinitz, der erste Schachweltmeister, Berthold Englisch, Georg Marco, Savielly Tartakower, Richard Réti und viele andere legten den Grundstein für die „Goldene Wiener Schachära”. Wien war als Schmelztiegel der Nationen geprägt durch starke soziale Gegensätze. Beim Schachspiel, das als Spiel der Aufklärung verstanden wurde, und im Kaffeehaus als dem idealen urbanen Ort der Aufklärung, konnten diese Diskrepanzen zeitweise überwunden werden. In der Heimat der Kaffeehäuser und mithilfe großzügiger jüdischer Mäzene avancierte die Donaumetropole gegen Ende der Monarchie für einige Jahrzehnte zu einer internationalen Schachgroßmacht: Zwischen 1873 und 1918 wurden zahlreiche Großmeister-turniere und als Höhepunkt der Weltmeisterschaftskampf 1910 ausgetragen.
Der Erste Weltkrieg brachte das Spiel fast zum Erliegen, in der Ersten Republik folgte die Politisierung und Polarisierung des Wiener Schachlebens, die 1925 mit der Abspaltung des Arbeiterschachbundes vom bürgerlichen Schachverband begonnen hatte, und in den dreißiger Jahren in die Katastrophe führte: Mit dem Anschluss Österreichs an das Großdeutsche Reich im März 1938 wurde das internationale Schachleben in Wien endgültig zerstört.
Autor Michael Ehn legt in seinem Buch einen besonderen Schwerpunkt auf die Persönlichkeiten der „Goldenen Schachzeiten” und zeigt Zug um Zug die historische Entwicklung der legendären Wiener Schachszene, die für einige Jahrzehnte Weltgeltung erlangte und in der die bis heute gültige Moderne, „das hypermoderne Schach”, eingeläutet wurde.
Zum Autor:
Geboren 1960 in Wien, Studium der Linguistik und Soziologie in Wien. Betreibt die aus dem Wiener Schachverlag hervorgegangene Buchhandlung Schach und Spiele und gilt als einer der führenden Schachhistoriker im deutschsprachigen Raum. Autor von ca. 2000 Artikeln und ein Dutzend Büchern zur Schachgeschichte. Zuletzt erschien Schicksalsmomente der Schachgeschichte (2014) gemeinsam mit Hugo Kastner. Er besitzt eine der weltweit größten Sammlungen von Schachliteratur und Ephemera und leitet seit 1990 die Schachkolumne in der Tageszeitung „Der Standard”.
Weitere Informationen
EAN 9783902494801
Gewicht 760 g
Hersteller Edition Steinbauer
Breite 17,5 cm
Höhe 24 cm
Medium Buch
Erscheinungsjahr 2017
Autor Michael Ehn
Sprache Deutsch
Auflage 1
ISBN-13 978-3-902494-80-1
Seiten 350
Einband gebunden
006 Vorwort
009 Das Zeitalter des Spiels und des Betrugs
018 Das Kaffeehaus als Forum von Aufklärung und Vernunft
030 Oberster Schachmeister Johann Baptist Allgaier
046 Erste Schachbücher und erste Schachmeister
065 Goldene Schachzeiten
080 Die Wiener Schachgesellschaft und ihre Meister
122 Wilhelm Steinitz - der erste Schachweltmeister
143 Die Wiener Schachszene um die Jahrhundertwende
172 Carl Schlechter - stilles Genie und beinahe Weltmeister
192 Im Zentrum der Schachwelt
203 Frauenschach
210 Prominenz am Schachbrett
235 Politisierung und Antisemitismus
255 Drei Wiener Meister im Porträt
280 Das entfesselte Schach
298 Schlusswort
299 Epilog
301 Anmerkungen
318 Anhang 1: Adolph Albin: Die parlamentarische Schachpartie
324 Anhang 2: Wiener Schachcafes 1750-2005
326 Anhang 3: Die 25 bedeutendsten Schachturniere in Wien 1873-1923
340 Literatur
Geniales Schach im Wiener Kaffeehaus 1750-1918" von Michael Ehn, Neuerscheinung 2017 in der Edition Steinbauer, ist ein schachgeschichtliches Werk, dessen Informationsbreite im Titel nicht umfassend deutlich wird. Es umfasst 350 Seiten, sehr viel Lesestoff, ergänzt um nach Thema eingestreute historische Partien, Turniertabellen und sehr viele, oft sehr ausführliche Quellenzitate. Sein Autor ist Michael Ehn, einer der führenden deutschsprachigen Schachhistoriker. Ehn ist Österreicher, selbst in Wien geboren und Verfasser unzähliger Artikel in Tageszeitungen und Fachzeitschriften. Zudem hat er mehr als ein Dutzend Bücher zur Schachgeschichte geschrieben.

Dem Buchtitel entsprechend ist das Schachleben Wiens im besagten Zeitraum der inhaltliche Kristallisationskern, dem sich aber verwandte Themen anlagern. So erfährt der Leser viel über die Entwicklung des Schachspiels allgemein, das zunächst als Glücksspiel verpönt war und um seine Anerkennung kämpfen musste, über seine Rolle in Gesellschaft und Kultur sowie deren Veränderung, über herausragende Schachgrößen, über Frauenschach, über Zusammenhänge zwischen dem Schachspiel und seiner Entwicklung und dem - sich ändernden - politischen und gesellschaftlichen Leben und sehr viel mehr.

Ein Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis mag diese angesprochene Vielseitigkeit veranschaulichen. Die folgende Zusammenstellung folgt der Chronologie des Buches, ist aber nicht vollständig. Sie enthält nur solche Einträge, aus denen der Leser dieser Rezension ausreichend konkret erkennen kann, was an der bereiten Stelle des Buches erörtert wird. Unterhalb der Kapitelebene arbeitet Ehn mit Abschnitten, die jeweils eigene Überschriften tragen.

Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis:
- Das Zeitalter des Spiels und des Betrugs
- Das Kaffeehaus als Forum von Aufklärung und Vernunft
- Oberster Schachmeister Johann Baptist Allgaier
- Erste Schachbücher und erste Schachmeister
- Die Wiener Schachgesellschaft und ihre Meister
- Wilhelm Steinitz - der erste Schachweltmeister
- Die Wiener Schachszene um die Jahrhundertwende
- Carl Schlechter - stilles Genie und beinahe Weltmeister
- Frauenschach
- Prominenz am Schachbrett
- Politisierung und Antisemitismus
- Drei Wiener Meister im Porträt
- Anhang 2: Wiener Schachcafés 1750-2005
- Anhang 3: Die 25 bedeutendsten Schachturniere in Wien 1873-1923.

Beeindruckend ist der Detaillierungsgrad der von Ehn vermittelten Informationen. Selbst als Schachanhänger, dessen Interesse sich auch auf die Schachgeschichte erstreckt und dessen Erfahrung über Jahrzehnte hinweg zusammengekommen ist, kann man Neues erfahren. So ist es verblüffend, was Ehn beispielsweise alles über den Schachtürken zu schreiben weiß (in "Das Zeitalter des Spiels und des Betrugs"). Nur ein kleiner Teil dessen ist der sonstigen allgemeinen Literatur zu entnehmen.

Nun darf man sich nicht vorstellen, dass "Geniales Schach im Wiener Kaffeehaus 1750-1918" im Stil eines Geschichtsbuches daherkommt, wie man es aus Schulzeiten kennt. Das Werk ist mit einem hohen Unterhaltungswert ausgestattet, u.a. auch wegen zahlreicher Passagen, die an Plaudereien erinnern. Hierzu ein Beispiel aus "Das Kaffeehaus als Forum von Aufklärung und Vernunft" und dort dem Abschnitt "Die Anfänge des Schachcafés": Kaiser Josef II. besuchte 1791 inkognito das "Café de la Régence" in Paris, forderte einen Offizier zu einer Schachpartie heraus und verlor. Als der Offizier ihm eine Revanche mit der Begründung versagte, die Oper besuchen und dort Joseph II. sehen zu wollen, offenbarte er sich.

Aber auch die "reinen Fakten" bringt Ehn in einer angenehm erzählenden Weise an den Leser. Wenn er beispielsweise darüber informiert, dass die ersten Schachcafés im Übergang des 18. auf das 19 Jahrhundert entstanden und es 1839 bereits 88 Kaffeehäuser in Wien gab, bettet er seine Information narrativ in ein größeres Ganzes ein. Das Entstehen des Professionalismus im Schach führt er mit dieser Entwicklung der Kaffeehäuser zusammen. Diese wiederum setzt er in Beziehung mit Schachklubs, wie wir sie kennen und die es im damaligen Wien noch nicht gab.
Entsprechend hängt die Entwicklung Wiens zur Schachmetropole untrennbar damit zusammen, dass sich die Schachcafés als Orte entwickelten, an denen fast rund um die Uhr Schach gespielt werden konnte.

Ob die Zeit des Kaffeehausschachs nun eine goldene Zeit war, dürfte im Auge des Betrachters oder, in die damalige Zeit zurückversetzt, des Beteiligten liegen. Die Schachenthusiasten, die sich täglich und von morgens bis abends im Wiener Kaffeehaus ihrer Leidenschaft hingeben konnten, würden der Einschätzung womöglich zustimmen. Ob dies auch alle Kaffeehausbetreiber so sähen, sei dahingestellt, denn der Besuch durch viele Schachspieler bedeutete nicht auch immer ausreichende Einnahmen durch Verzehr.

Auch dürften diejenigen in Zweifel kommen, die andere Seiten der Medaille kennen gelernt haben. So wird von Ehn eine Anekdote aufgeführt, nach der ein Fremder einem eingesessenen und wohl nicht ganz so ehrlich veranlagten Dauergast unter den Spielern ins Garn gegangen ist. Im Spiel um Geld wurde dieser ausgenommen, indem ihm über zwei erste Partien mit einem wohl gesteuerten Ergebnis ein Wettkampf schmackhaft gemacht wurde, den sein Gegenüber dann aber mit voller Spielstärke absolvierte und ihn dabei kräftig ausnahm.

"Geniales Schach im Wiener Kaffeehaus 1750-1918" ist gebunden und ist mit einem festen Einband versehen.

Fazit: Ich halte "Geniales Schach im Wiener Kaffeehaus 1750-1918" für eine wertvolle Arbeit zur Historie des Schachspiels. Dass ich mit meiner Einschätzung richtig liegen dürfte, zeigt auch die finanzielle Unterstützung seitens des Zukunftsfonds der Republik Österreich zur Realisierung des Buchprojektes.
"Geniales Schach im Wiener Kaffeehaus 1750-1918" ist geschichtliches Werk zum Schachspiel, das reich an Informationen und gut zu lesen ist, wobei zahlreiche Anekdoten und Plaudereien ihren Beitrag leisten. Es ist eine Empfehlung an jeden Schachfreund, der mehr zum Schachspiel erfahren möchten als das, was konkret auf seinen 64 Feldern stattfindet.
Uwe Bekemann,
Deutscher Fernschachbund
www.bdf-fersnchachbund.de



Wie schön müssen sie doch gewesen sein, die „Goldenen Schachzeiten” in den Wiener Kaffeehäusern um die Wende vom 19. zum 20 Jahrhundert, wie sie etwa von Milan Vidmar in seinen gleichnamigen Erinnerungen heraufbeschworen werden. Wien war in den letzten blühenden Jahren der Habsburgermonarchie der Nabel der Schachwelt, und in den Kaffeehäusern, allen voran im Central, schlug das Herz der Szene. Es war diese eigenartige Verknüpfung, die das einzigartige Flair ausmachte und die Legenden bis heute ranken lässt: das Nebeneinander verschiedener Bevölkerungsschichten, von Schachspielern und Literaten, Künstlern und „Lebenskünstlern”, das sich gegenseitig befruchtete.
Michael Ehn hat nun diesem pulsierenden Ort einer entrückten Zeit ein Denkmal gesetzt. Aber nicht nur dem Kaffeehaus. Das Spektrum weist über den verengten Raum hinaus, umfasst ganz Wien in seiner Entwicklung zur Großstadt zwischen 1750 bis um 1900, als die Donaumetropole rund 2 Millionen Einwohner aufwies und eine der größten urbanen Zentren Europas war. Ehn zeichnet die Verstrickungen zwischen Stadt, ihrer Mächtigen, Wohlhabenden, Künstler mit dem Schachspiel, das eine spezielle Rolle einnahm, nach.
Magister Ehn (der Titel darf in Österreich freilich nicht fehlen) ist einer der profiliertesten deutschsprachigen Schachhistoriker. Seit der Soziologe als schachbegeisterter Student nach Wien zog, wo er bis zum heutigen Tag lebt, ist er von Schachliteratur und -Geschichte absorbiert. Rasch hatte er in seiner Sammelwut eine riesige Literatursammlung beieinander und bereicherte die Schachgeschichte über Jahrzehnte hinweg mit unzähligen Artikeln zu, vor allem zur Wiener /Österreichischen Schachgeschichte. Ehn betreut mehrere Schachspalten in Tageszeitungen, seit 27 Jahren etwa eine großformatige Seite im Wiener Der Standard zusammen mit Ernst Strouhal, seinem Co-Autor bei vielen Projekten.
Insbesondere das Kaffeehaus sowie das Thema Juden in Wien sind seine Schwerpunkte, zu denen er ausgiebig geforscht und geschrieben hat. Die Artikel lagen bislang nur in einzelner Form in Fachzeitschriften schwer zugänglich vor.
Nun ist es ihm gelungen, nicht zuletzt mit finanzieller Unterstützung des Zukunftsfonds der Republik Österreich, eine umfassende Monographie in großzügiger Verarbeitung mit Festeinband zusammenzutragen. Eine gründliche und umfassende Arbeit, bei der nichts zum Thema fehlt. Weiterführende Hinweise sind in zahlreichen Fußnoten eingearbeitet, ein umfassendes Register zu Personen und Turnieren darf freilich nicht fehlen. Sämtliche Turniere, die in Wien stattfanden, werden tabellarisch aufgelistet.
Dabei werden nicht nur das Kaffeehaus, sondern alle Facetten Schachs in Wien zwischen 1750 bis zum Zerfall der Donaumonarchie am Ende des 1. Weltkriegs beleuchtet, und man erfährt nebenbei sehr viel über das soziale Leben, die Kultur in verschiedenen Epochen, in dem der Vielvölkerstaat eine rasante Entwicklung nahm. Eine besondere Katalysatorrolle in dieser Melange von Völkern nahmen die Juden ein. Historisch wichtige Einschnitte trugen zu ihrem Zuzug in die Hauptstadt bei, etwa das Toleranzpatent des aufgeklärten Kaisers Joseph II., oder die Liberalisierung in der Zeit Kaiser Franz Josephs, als die Bevölkerung Wiens und auch der Anteil der Juden gewaltig anstieg.
Generell spielten Jüdische Bürger eine Avantgarde-Rolle in vielen kulturellen und wissenschaftlichen Bereichen der „Wiener Moderne”, in der beispielhaft Sigmund Freud die Psychoanalyse entdeckte.
Eine entscheidende Rolle bei der Popularisierung des Schachs spielte Bankier Albert Freiherr von Rothschild, der reichste Mann Europas und dadurch auch ein Mächtiger in der Schaltzentrale des Reichs. Rothschild war begeisterter Schachspieler und wirkte als Mäzen. Unter seiner Führung prosperierte die Wiener Schachgesellschaft, wurden zahlreiche Turniere unter Beteiligung der Weltelite in Wien abgehalten und der Ruf einer Schachhauptstadt gefestigt.
Aber während die Vornehmen sich in der feinen Schachgesellschaft betätigten, wanderte das Gros vermehrt in die öffentlichen Räumlichkeiten der Schachkaffees. Sehr viele der Wiener Meister waren Juden, etwa der erste Weltmeister Steinitz oder später Tartakower und Spielmann, um nur die wichtigsten Exponenten zu erwähnen.
Ehn entwirft eine Fülle von Biographien mehr oder weniger bekannter Meister aus mehreren Generationen von Schachspielern. Beginnend bei Allgaier, der auch den Schachtürken Kempelens bediente, über Hamppe, die Brüder Fleissig, Ignatz Kolisch, der zu Reichtum kam und später auch als Mäzen hervortrat, Max Weiß, Berthold Englisch bis hin zum herausragenden Talent Carl Schlechter, der zum Weltmeisteranwärter heranwuchs.
Ehn hält sich an die Fakten, lässt Originalquellen sprechen und bleibt wissenschaftlich seriös und trocken. Da vermisste ich als Leser etwas seinen pointierten Wiener Humor, der sonst in seinen Artikeln durchschimmert, aber es geht ja hier um eine ernsthafte Darstellung mit wissenschaftlichem Anspruch. Dafür entschädigt völlig die Fülle an Informationen, die die Lektüre vermittelt.
Besonders spannend etwa liest es sich, den Untergang der Schachszenerie und der Gesellschaft des Vielvölkerstaates im Gesamten anhand der Folgen des 1. Weltkrieges für den Einzelnen nachzuvollziehen. Im Zuge dessen erstarkt auch die antisemitische Stimmung, was sich in den tragischen Schicksalen der jüdischen Meister niederschlägt.
Sehr vieles war mir schon bekannt und wird dem historisch interessierten Leser nicht neu vorkommen. Ehn hat vor allem zusammengetragen, was er quasi ein halbes Leben lang an Aufwand in die Thematik investiert hat. Einzelne Artikel, etwa der zum WM-Kampf Lasker - Schlechter 1910 mit der lange Zeit strittigen Frage, ob Schlechter nun mit einem oder gar mit zwei Punkten Vorsprung gewinnen musste, um Weltmeister zu werden, wurden bereits in den 90er-Jahren von Ehn publiziert. Fürs Buch hat er sie etwas umgeschrieben, gestrafft oder erweitert. Sie sind nun einer breiten Öffentlichkeit zugänglich und im Gesamtkontext nachvollziehbar, was höchst begrüßenswert ist.
Es gibt aber auch Detailstränge, die mir noch völlig unbekannt waren. Als Beispiel sei hier Arthur Kaufmann erwähnt: der aus wohlhabende Hause stammende Kaufmann lebte als „Privatier” und versuchte sich abwechselnd als Philosoph und als Schachspieler. Zeitweise gehörte er zu den besten Wiener Spielern.
Ihn verband eine enge Freundschaft zum Namensvetter Arthur Schnitzler. Die Freunde aus der gebildeten jüdischen Oberschicht diskutierten, trafen viele namhafte Künstler und Schriftsteller. Schnitzler selbst hatte „Hemmungen”, mit seinem philosophisch gebildeten Freund intellektuell mithalten zu können. Kaufmann nun kündigte immer mal wieder ein „großes philosophisches Werk, auf mehrere Bände angelegt” an, an dem er mehrere Jahre arbeiten wollte. Doch außer einem dürren Artikel brachte er nichts zur Veröffentlichung, während sein Freund Schnitzler weltberühmt wurde. Der nach dem Krieg verarmte Kaufmann wählte schließlich, nachdem die Nazis in Wien einmarschierten, in auswegloser und völlig gescheiterter Lage den Freitod.
Just solche tragischen, wenig bekannten Schicksale machen einen Reiz von Ehns Buch aus, das uns eine einst noch heile Welt mit einem idyllischen Sehnsuchtsort wieder nahe bringt, welche in unzählige Wunden zerbrach.
IM Frank Zeller
Zeitschrift SCHACH 01/2018




Wien war um 1900 eines der Schachzentren der Welt. Ein eigener Kosmos und kulturell, gesellschaftlich und literarisch ein kaum mehr erreichter Höhepunkt. Mit seinem Buch Geniales Schach im Wiener Kaffeehaus 1750-1918 hat der österreichische Schachhistoriker Michael Ehn dieser ruhmreichen Epoche ein Denkmal gesetzt. Dabei ist der Titel des Werkes etwas irreführend. Das Kaffeehaus als Nukleus des Schachlebens in der Donaumetropole ist zwar ein Leitmotiv des Buches, aber der Autor beschreibt tatsächlich die Schachgeschichte Wiens von den Anfängen bis zur Zäsur des Zweiten Weltkriegs mit zahlreichen Porträts ihrer wichtigsten Repräsentanten, Spieler, Sponsoren, Autoren sowie politische Hintergründe und Rahmenbedingungen. Das goldene Zeitalter zwischen 1867 und dem Ende der Donaumonarchie nimmt dabei naturgemäß den größten Raum ein.
Die Schachgeschichte beginnt in Wien mit Verboten, die zeigen, dass sich das Spiel im Spannungsverhältnis zwischen Betrug einerseits und Bildung andererseits entwickelte. Im 18. Jahrhundert war es zunächst noch als Glücksspiel verpönt. Aber als Wolfgang von Kempelen seinen legendären Türken am Hofe Maria Theresias vorführte, wurde das Schachspiel in Wien populär. Und Joseph II. etablierte Ende des 18. Jahrhunderts Schach als Gegenentwurf zum Glücksspiel.
Der Aufstieg Wiens zur Schachmetropole hängt mit mehreren Faktoren zusammen. Zunächst einmal mussten Orte für das Spiel geschaffen werden. Ideal dazu eigneten sich Kaffeehäuser. Schach und Kaffeehaus „waren bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs synonym zu setzen”, schreibt Ehn. Das erste entstand schon 1683 nach der zweiten Türkenbelagerung, rasch folgten zahllose andere. Die Wiener Kaffeehauskultur war einzigartig, identitätsstiftend, und eine ganz eigene Prägung des Lebensgefühls in einem halböffentlichen Raum. Manche Gäste verbrachten fast ihr ganzes Leben dort wie etwa der Autor Peter Altenberg, der sogar seine Privatmit Café Central angab. Wie allgegenwärtig das Schach in Wien war, sieht man auch an zahlliterarischen Stellen in den Werken berühmter Autoren wie Polgar oder Torberg.
1839 gab es schon 88 Kaffeehäuser in Wien, die ersten Schachcafés entstanden Ende des 18./Anfang des 19. Jahrhunderts. An einem der ersten, dem Milanesischen Café, wird auch ein frühes Problem deutlich: Die Spieler konsumierten zu wenig, sodass das Lokal nach wenigen Jahren wieder schloss.
Mit den Kaffeehäusern begann das professionelle Schach. Johann Baptist Allgaier, die erste große Schachpersönlichkeit Wiens, residierte Anfang des 19. Jahrhunderts im Kramerschen Kaffeehaus. Berühmt wurde sein bahnbrechendes Lehrbuch Neue theoretisch-praktische Anzum Schachspiel von 1795, das sieben Auflagen erlebte. Die Zirkel, die sich um Schachmeister wie Allgaier in den Cafés gruppierten, waren die Vorläufer der Schachklubs, die in Wien erst spät entstanden.
1850 war die Wiener Schachszene noch sehr auf sich selbst bezogen. Die Gründe für den baldigen Aufstieg zu einer der wichtigsten Schachmetropolen der Welt hingen vor allem mit der starken Zuwanderung osteuropäischer Juden zusammen. Spätestens mit der Doppelmonarchie mit Ungarn wurden 1867 alle diskriminierenden Gesetze aufgehoben, was den Zuzug 100.000er Juden nach Wien zur Folge hatte. Dadurch erhielt die Metropole enormen Aufschwung und für die Juden waren die nächsten fünfzig Jahre ein goldenes Zeitalter.
Als Steinitz von Prag nach Wien kam, nahm die Institutionalisierung des Schachs zu. Jüdische Mäzene wie Baron Albert von Rothschild, Baron Ignatz von Kolisch und Leopold Trebitsch initiierten viele große Turniere. Die Wiener Schachgesellschaft wurde zum feudalen Treffpunkt. 1889 zählte sie 200 Mitglieder. Doch erst die Fusion 1897 mit dem „Neuen Wiener Schachclub” zum „Wiener Schach-Club”, der mit 600 Mitgliedern seinen Zenit erreichte, führte zur Blütezeit des Wiener Schachlebens.
Ein weiterer wichtiger Faktor in diesem Schachkosmos war die Schachliteratur. 1859 gab es die erste Schachspalte im Wiener Wochenblatt. Doch erst mit der Wiener Schachzeitung (WSZ), die durch den geistreichen Stil Georg Marcos zu einer der führenden Schachorgane der Welt wurde, erhält sie ihr adäquates Sprachrohr. Später wird die Hypermoderne, die mit Nimzowitschs Thesen beginnt, von der WSZ ihren Ausgang nehmen.
Die goldene Schachgeneration brachte Persönlichkeiten wie Vidmar, Tartakower und Réti hervor, sowie die bedeutendsten Wiener: Spielmann, Grünfeld und Schlechter, der seit 1897 als der beste Spieler der Stadt galt. Er war kaum zu schlagen, was auch Lasker in seinem WM-Match gegen ihn 1910 in Wien und Berlin erfahren musste. Erst in der zehnten und letzten Partie konnte der Weltmeister ausgleichen. Die Umstände des Matches, um das es in der Literatur viel Verwirrung gab, kann Ehn in seinem Buch klären.
Durch die zunehmende Politisierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam es zu einer Spaltung der Schachszene und es entstanden klar abgegrenzte Vereine: das Arbeiterschach, der großbürgerliche Klub, der Deutsche Schachverein und der Anfang der zwanziger Jahre gegründete jüdische Klub Hakoah.
Der Antisemitismus, der mit den Pamphleten Franz Gutmayers einen traurigen Höhepunkt erreichte, traf auch das Wiener Schach ins Mark. In den Dreißigern waren die goldenen Zeiten Wiens ein für alle Mal vorbei. Die Nazis lösten den Arbeiterschachbund auf, Arierparagraphen vertrieben die Juden aus den Vereinen und die WSZ wurde arisiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg lag nicht nur die Stadt, sondern auch die Schachszene in Trümmern und sollte nie wieder an den Glanz früherer Zeiten anknüpfen.
Geniales Schach im Wiener Kaffeehaus 1750-1918 ist vor allem ein Lesebuch, das eine wundervolle, unwiederbringlich verlorene Zeit vor den Augen des Lesers wieder auferstehen lässt.
Harry Schaack,
KARL 2/2017